Corona, was nun?

Corona hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Die Musikclubs haben dicht gemacht und der Festivalsommer fällt ins Wasser. Home Office statt Open Air. Es ist eine schwierige Zeit, ganz besonders für Musikerinnen und Musiker. Viele sind verunsichert: Wann kann ich wieder auftreten? Was passiert mit meinem nächsten Release? Wie sieht das Musikbiz nach der Coronakrise aus? Ich versuche im Folgenden ein paar Antworten und Inputs zu geben, wie man als Musikerin oder Musiker am besten durch den Sommer kommt.

Eat The Frog
Die Redewendung «Eat The Frog» taucht in jedem Zeitmanagement-Seminar auf. Es bedeutet nichts anderes, als zuerst das Unangenehme zu erledigen. Für jemanden mit viel Kreativität gibt es wohl kaum etwas Mühsameres und Unbefriedigenderes als Buchhaltung. Trotzdem ist es jetzt zwingend notwendig, sich zunächst einen Überblick über die eigenen Finanzen zu verschaffen. In den kommenden Monaten werden die Einnahmen zurückgehen beziehungsweise ausbleiben. Umso wichtiger ist es, jetzt die diversen Förderstellen und Nothilfen abzuklappern, damit trotzdem noch Geld reinkommt. Die Zeit drängt, denn einige Eingabefristen laufen demnächst aus. Wer sich bislang nicht darum gekümmert hat, sollte dies sofort angehen. Eine gute Anlaufstelle für einen ersten Überblick ist die Webseite der SONART, des Berufsverbands der freischaffenden Musiker*innen der Schweiz. Kulturschaffende können zudem noch bis am 20. Mai beim jeweiligen Wohnkanton einen Antrag auf Ausfallentschädigung einreichen. Der Weg durch die Instanzen ist mühsam und teilweise arg bürokratisch, aber ich rate dringend, ihn zu gehen.

Release – Ja oder nein?
Die häufigste Frage, die ich derzeit von Musikerinnen und Musikern höre: Macht es Sinn, in Zeiten von Corona neue Musik zu veröffentlichen? Die Antwort ist nicht einfach, weil es verschiedene Faktoren zu berücksichtigen gilt. Wir stellen zunächst fest, dass das Musikstreaming zu Beginn der Krise im März massiv zurückgegangen ist, während Netflix und andere Videostreaming-Plattformen stark zulegen konnten. Dieser Rückgang erklärt sich damit, dass mit dem Lockdown weniger Leute pendelten und sich zuhause vermehrt Filme und Serien anschauten. Zudem haben sich die Leute auf der Suche nach Informationen wieder dem guten, alten Radio zugewandt. Einzelne Radiosender verzeichneten einen Höreranstieg von bis zu 20%. Beim Streaming sehen wir zudem eine Veränderung der Hörgewohnheiten. Während die Songs in den Top 200 weniger gestreamt werden, legen ältere Titel zu. Der Grund: In Krisenzeiten brauchen die Menschen Trost und Zuversicht. Sie finden dies unter anderem in der Musik, die sie bereits kennen und die ihnen viel bedeutet. Anstatt neuer Hits hören sie deshalb vermehrt ihre alten Lieblingsbands, Musik aus der unbeschwerten Jugendzeit oder Songs, die sie mit einem besonderen, positiven Ereignis verbinden. Der Lockdown hat auch dazu geführt, dass zahlreiche Albumveröffentlichungen in den Herbst verschoben wurden. Wer Zehntausende oder Hunderttausende von Franken in einen Release investiert, will sicher gehen, dass das Geld auch wieder reinkommt. Die Chancen, dieses Geld rasch wieder einzuspielen, stehen derzeit schlecht. Es ist schwierig, Promofotos oder irgendwelche Videos mit vielen Leuten zu drehen, die Tourneen und Promoauftritte fallen weg und zum Teil haben sogar die Vinyl-Presswerke ihre Tore dichtgemacht. In den kommenden Sommermonaten werden wir deshalb kaum Veröffentlichungen der grossen Stars erleben. Das gibt Newcomern und unbekannteren Künstlern viel Raum, um neue Singles oder EPs zu veröffentlichen. Wenn jemand während der Pandemie ein neues Lied oder einen neuen Künstler entdeckt, hat dieser Zuhörer etwas in seinem Leben, das ihn durch diese unsicheren Zeiten bringt. Und wenn dann irgendwann wieder Konzerte stattfinden, werden diejenigen Musikerinnen und Musiker profitieren, deren Musik den Menschen geholfen hat. Herbst hingegen werden wir voraussichtlich mit Neuveröffentlichungen dermassen geflutet, dass es fast nicht möglich ist, in der Masse der Releases herauszuragen. Die Situation wird sich erst im neuen Jahr normalisiert haben. Mit der Veröffentlichung eines neuen Albums würde ich daher bis im Januar oder Februar zuwarten.

Get connected
Die Coronakrise bietet aber nicht nur Gelegenheit, um eine neuen Track zu veröffentlichen. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um über Social Media neue Kontakte zu knüpfen, Followers zu gewinnen und die Fanbasis auszubauen. Die Leute verbringen viel Zeit online und Werbung auf Facebook & Co. ist so günstig wie schon lange nicht mehr. Und wie bei den Releases gilt: Wer seinen Fans in diesen Zeiten zur Seite steht, ihnen Hoffnung, Spass und etwas Ablenkung bietet, der wird langfristig davon profitieren können. Achtung: Mit dem Home Office kommen auch veränderte Nutzungsgewohnheiten. Derzeit sind die besten Zeiten für Facebook posts jeweils vormittags um 10 Uhr, wobei Mittwoch und Freitag besonders gut abschneiden. Für Instagram gilt das Gleiche, wobei hier der Sonntag wirklich schlecht läuft. Dies sind allgemeine Angaben, deshalb lohnt sich noch ein rascher Blick auf die eigenen Statistiken.

Frank Lenggenhager